Geblendet by Christopher Reich

Geblendet by Christopher Reich

Autor:Christopher Reich
Die sprache: de
Format: mobi
Tags: Roman
Herausgeber: Bastei Luebbe
veröffentlicht: 2011-02-17T23:00:00+00:00


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Das 1216 Meter hoch gelegene Goppenstein lag mitten im Lötschental. Der Ort konnte weder mit einer interessanten Geschichte noch mit einer traumhaften Landschaft aufwarten. Die meisten kannten Goppenstein nur als südliche Endstation des knapp 15 Kilometer langen Eisenbahntunnels, der durch den Lötschberg führte und das Berner Oberland mit dem Kanton Wallis im Südwesten der Schweiz verband.

Der in den Jahren 1906 bis 1913 erbaute Tunnel war eine Reliquie. Es konnte immer nur ein Zug durch den einröhrigen Tunnel fahren. Einen Fluchtkanal oder »Verbindungstunnel«, wie es bei neueren Bauwerken Vorschrift war, gab es nicht. Nur an den beiden Endpunkten war der Tunnel über eine Strecke von etwa tausend Metern breit genug für eine doppelte Schienenspur. Und doch war der Tunnel unverzichtbar. Täglich wurden mehr als zweitausend Autos, Laster und Motorräder auf dem Zug durch den Berg geschleust.

Nachdem er den Fahrpreis von sechsundzwanzig Franken bezahlt hatte, fuhr das Phantom mit dem Wagen in das Terminal. Vor der Verladestelle waren Fahrspuren mit den Nummern eins bis sechs auf dem Asphalt aufgemalt. Die ersten beiden Trassen waren bereits voll, ein bunter Mix aus Personenkraftwagen und internationalen Achtzehntonnern. Ein Mann mit einer orangefarbenen Neonweste gab ihm per Handzeichen zu verstehen, dass er sich in die dritte Fahrspur einreihen sollte.

Vor dem Wartebereich stand bereits der Zug. Er war ausschließlich mit Autotransportwagen bestückt, an deren Seiten sich lediglich ein wenig vertrauenerweckendes Geländer zum Schutz vor den Elementen befand. Der Zug schien sich endlos lang über den Bahnhof hinaus bis in die dahinterliegende Dunkelheit zu erstrecken. Er wirkte auf das Phantom wie eine Schlange, die ihren Kopf aus der Höhle streckt. Eine riesige, rostige Schlange.

Das Phantom warf einen Blick auf die Uhr. Bis zur Abfahrt waren es noch neun Minuten.

In seinem Rückspiegel beobachtete er, wie Ransom drei Autos hinter ihm in die dritte Fahrspur geschleust wurde. Er trommelte mit der Handfläche auf das Lenkrad. Alles verlief genau nach Plan.

Er öffnete das Handschuhfach, holte seine Pistole heraus, setzte einen Schalldämpfer und einen Mündungsfeuerdämpfer auf den Lauf und legte die Waffe auf den Beifahrersitz. Danach nahm er das Fläschchen von seinem Hals. Langsam und eindringlich sprach er sein Gebet und lauschte dabei in Erinnerung versunken auf das Geräusch von weit entfernten Trommeln im Regenwald. Nacheinander tunkte er die Patronen in das Gift. In der festen Überzeugung, dass die Seele seines Opfers ihn im Diesseits nicht verfolgen würde, lud das Phantom die Kugeln ins Magazin.

Geduldig wartete er auf seinen Moment.



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